Typisch Kanada

Die Wolken hängen dem Himmel in den Knien und die Luftfeuchtigkeit ist so hoch, wie beim Öffnen eines Geschirrspülers. Wir sitzen im Cockpit unseres Womo und lauschem dem Konzert von Alan Doyle und schauen uns die Party aus der Ferne an. Wenigsten hat es aufgehört zu regnen und wir sind auch langsam wieder getrocknet und machen uns auf den Weg. Wir feiern Canada Day in Moncton, ich bin in eine Maple Leaf Fahne eingehüllt und fühle mich total dazugehörig auf diesem Fest. Genauso wie die Inderin im Sari mit Kanada-Tatoo auf der Wange oder die Asiatin mit Fähnchen im Haar oder der Hund mit Canada-Halstuch um. Wir dürfen alle Kanada sein, wir dürfen alle mitfeiern. Kanada ist eben nicht nur rot-weiß, sondern auch braun, schwarz, gelb, rosa: bunt. Jetzt stehen wir alle gemeinsam am Flussufer und warten auf den Abschluss der 150sten Nationalfeiertages. Um uns herum die kanadischen Familien, die eben noch im Regen die Musiker auf der Bühne gefeiert haben und jetzt geduldig auf das Feuerwerk warten. Es ist friedlich, freundlich, frohsinnig. Trotz der klatschnassen Feier kommt kein Zynismus, keine Frustration, kein Nörgeln auf. Genau diesen Spirit, diese Partygäste braucht eine (vermasselte) Party, Gäste die einfach weiterfeiern und sich den Spaß nicht verderben lassen. Mit einem Rrrrrummmms geht das Feuerwerk los, aber die Schönheit der Himmelslichter mag sich nicht so wirklich entfalten, weil die Luft so schwer ist, dass der Rauch nicht abziehen kann und auch die Wolken geben den Blick nicht frei. Als die letzten Lichter am Himmel verglüht sind und die Party vorbei ist, tut es mir wirklich leid, dass, nicht nur in Moncton, sondern auch auf der größten Pary des Landes in Ottawa oder bei der Parade in Montreal, die Leute im Regen stehen mussten. Die Kanadier müssen wettertechnisch wirklich viel ertragen, leider auch heute! ABER: “We’re Canadian! We’re not going to let a little weather slow us down, are we?” sagt Prime Minister Justin Trudeau am Samstag zu seinem dem Regen trotzendem Partyvolk.

 

 

 

 

Kanadier sind Gortex, 9-Grad-FlipFlop-Träger, aber eben nicht nur wetterfest, sondern noch viel mehr, aber was? Ich habe darüber nicht nur nachgedacht, sondern es in 1,5 Jahren Toronto und zwei Touren durch ganz Kanada auch erlebt, dieses kanadische, allerdings natürlich aus meiner Perspektive. Die Frage, wer oder was ist Kanada eigentlich, ist gar nicht so leicht zu beantworten, auch für die Kanadier selbst nicht immer. Insgesamt haben es die Kanadier nicht leicht, die Amerikaner sitzen wesentlich fester im Identitätssattel und die “superioren” Europäer haben schließlich sowas wie Kultur und Nation überhaupt erst erfunden, püh. Auf der Suche nach Identität und die Schaffung eines unique selling points, ist es für Kanada nicht einfach sich von den zwei so dominierenden und sich gleichzeitig auch so superior fühlenden Amerikanern und Europäern zu emanzipieren. Es kann gelingen, wenn sich Kanada auf Gegenwart und Zukunft konzentriert, denn da kann das Land Vorbild sein. Schon jetzt ist Kanada eines der beliebtesten Ländern und gewinnt regelmäßig in Ratings bezüglich Lebensqualität und Lebensstandard. Warum nicht das Imagae des “nice guy” stark machen anstatt es leicht verschämt zu belächeln. Warum nicht z. B. Vorbild in den Themen Diversity, Umweltschutz und Aussöhnung mit den First Nations werden? Kanada hat riesiges Potential, steckt aber schließlich mit seinen 150 Jahren noch in den Kinderschuhen. But, the world NEEDS a strong nice guy und zwar pronto!

Bei meinen Gedanken zu Kanada fällt mir auf, dass bei mir immer mal wieder die europäische Arroganz gegenüber Nordamerika aufkommt. Ich mag das nicht. Dennoch, bilde ich mir ein, dass wir als Europäer profunder sind, verbindlicher, aber auch direkter und agressiver. Aus dieser Mentalität heraus, habe ich mich doch ab und zu über einige Verhaltensweisen wundern müssen. Zu sehr die Dinge beim Namen zu nennen, zu sagen, was ist, kommt eher weniger gut an, auch wenn man dauernd “how are you?” gefragt wird. Wenn man einen Kanadier anrempelt, dann sagt er “sorry” anstatt zu sagen “Ey! Noch einmal und isch hol’ meine Brüder!”. Aber im Ernst, statt zu sagen, was ist, wird sich lieber rausgewunden oder sich nicht mehr gemeldet. Ein absurdes Beispiel in die Richtung: ich hatte einen Anruf in Abwesenheit auf meinem Telefon und rief zurück und sagte, dass ich einen Anruf in Abwesenheit hatte und fragte, wer die Person am anderen Ende der Leitung sei. Die Antwort war “tuut tuut” aufgelegt. Wenig später erhalte ich eine Nachricht “sorry, was the wrong number”. Mit Konfrontation und Direktheit verschreckt man den Durchschnittskanadier also eher. Verbindlichkeit ist ebenfalls ein schwieriges Thema und dazu fällt mir ein Gespräch ein, das dazu passt. Ein Kanadier erzählt, dass er als er in Deutschland war, ein Pärchen kennengelernt hat und beim Abschied und Höflichkeiten austauschen, meinte er denn, dass wenn die Beiden nach Kanada kommen, unbedingt bei ihm vorbeischauen sollen. “and damn! These dudes really showed up!” War wohl nicht so ernst gemeint, wie er mir sagte und er war beeindruckt, wie sehr auf Worte wert gelegt wird.”Yeah, we are a little different in that way”…

In Kanada braucht sich keiner zu fürchten, außer vor Grizzly Bären vielleicht. Alles hat seine Regeln, die stets eingehalten werden – von wegen bei Rot über die Ampel gehen! Nichts passiert unerwartet, man wird vor allen Gefahren im Vorfeld gewarnt – vor jeder Kurve ein Schild, dass einem die Richtung anzeigt und auf dem Tresenmenü bei McDonalds wird man darauf hingewiesen, wie viele Kalorien Erwachsene und Kinder maximal am Tag zu sich nehmen sollten – blöd nur, dass daneben das Big-Mac-Maxi-Menü abgebildet gewesen ist mit dem Claim “Save BIG”. Well, aber eigentlich kann einem in Kanada nichts passieren. Passiert was oder droht etwas zu passieren, ist der Kanadier sehr zivilcouragiert und hilfsbereit. Hier würde man bestimmt nicht verletzt auf dem Gehsteig liegen bleiben und die Leute würden über einen hinwegsteigen, wie es in Deutschland schon passiert ist. Die Kanadier involvieren sich und passen aufeinander auf. Antonio und ich hatten schon drei schwere Jungs von der Security bei uns in der Bude, weil wir einen Abend auf dem Balkon etwas zu laut über Politik diskutiert haben und sich Nachbarn Sorgen gemacht hatten.

Die kanadische Freundlichkeit ist ja nun schon legendär, aber habt Ihr auch gewusst, wie extrem tierlieb die maple leafs sind? An keinem Hund kann vorbei gegangen werden. Ich habe mal eine kleine Studie auf einem Lenny Kravitz Konzert gemacht: eine Lady stand dort mit ihrem Therapiehund an einem Ort, den viele Leute passieren mussten, jeder zweite, und dass ist fast untertrieben, hat den Hund irgendwie angesprochen, sich zum Streicheln niedergebeugt oder sonst irgendwie kommentiert. Manchmal wird man aber auch selbst kommentiert:”Your shirt looks gorgeous, where did you buy it?” Ich liebe es, dass ich überall so leicht ins Gespräch komme: das “how are you?” ist dafür perfekt. Die Gesprächsaufnahme ist in Deutschland schon etwas schwieriger, weil sich der verbale Austausch mit Menschen oft nur aufs Wesentliche beschränkt, wie in einer Tankstelle erlebt, in der ein Mann zur Kasse geht und nur sagt: “Ein Kaffee”, die Verkäuferin bleibt wortlos, rechnet den Kaffee ab und die Interaktion ist beendet. Tja, so kann man es auch machen oder wie bei der TD-Bank-Hotline am Ende eines jeden Gesprächs der Mitarbeiter fragt: “What can I do more to make your day better?”

Folgend möchte ich noch andere Personen mit den verschiedensten Hintergründen zum Thema Kanada zu Worte kommen lassen – Allgemeine Gedanken und Gefühle zum Land oder zur Frage: was ist typisch Kanada? Ich freue mich natürlich auch auf Eure Gedanken, Meinungen oder Erfahrungen aus beautiful Canada in den Kommentaren.

 

Gedanken zu Kanada

 

From Kris –  a real Canadian with Irish roots:

-It’s cold

-It’s friendly and safe.

-Outdoorsy (people like to do things outdoors)

 

From Julie – a Mexican-American-Canadian:

-It’s freezing in the winter and humid in the summer

-Maple flavor is abundant

-Canadian pride is a mix of people born here, people who have the same ideals, and people who immigrated here and made connections with the locals

 

From Vicky – a Quebec-Canadian:

About Canada Day we don’t care too much in Quebec. It’s nice to have a bank holiday that day, but that’s all about it. We celebrate Quebec-Day on 24th June. The day is all about drinking and listening to some French-Canadian artist and maybe eating Poutine.

 

From Nazanin – a Iranian-Canadian artist:

Being Canadian to me is simple living style, loving nature, care for minorities and people in need, being patient, smiling to strangers on the road, snow mountains in drive way, humid aroma of mysterious flowers, musical bands of birds singing with the wind, the aroma of freshly cut grass, home sweet home…oh I have to share this on my Facebook page with friends. Thanks for the stimulation xo And, Happy Canada Day!

 

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