Besser eine Geschichte, als ein Foto

Vor zwei Jahren sind Antonio und ich schon mal in Kanada auf Tour gewesen. 14.690 Kilometer sind wir damals mit unserer selbstkreierten Show aus Songs & Videos durchs Land gereist. An einer Tankstelle im Nirgendwo haben wir Chris und Peter auf ihrem Weg von Thunder Bay nach Vancouver kennengelernt. Peter ist zu dem Zeitpunkt 81 Jahre alt. 1953 ist er von Deutschland in die USA ausgewandert und lebt nun aber bereits schon seit vielen Jahren in Kanada. In einem Alter in dem sich einige Achtzigjährige nur noch zum Katze füttern aus ihrem Schaukelstuhl bewegen, muss Peter jetzt sein ganzes Leben neu denken.  Er wurde von seiner Frau verlassen und vor die Tür gesetzt. Mit all seinen Habseligkeiten geht es für den alten Mann nun zu Chris, seinem Sohn.
Jetzt treffen wir Beide wieder, nur diesmal getrennt von einander. Bei Chris haben wir zwei Tagen vor dem Haus geparkt. Seinen Vater werden wir auf dem Rückweg in Thunder Bay besuchen.
Geschichten, die das Leben schreibt: Peter war 24 Jahre lang mit seiner Frau verheiratet und ab und zu ist es mal zum Streit gekommen. Eines Tages spazieren beide durchs Einkaufszentrum und kriegen sich mal wieder so richtig in die Wolle. Bei Peter springt die Sicherung raus und er zückt seine Krücke und schlägt sie seiner Angetrauten ans Schienbein. So weit, so (nicht) gut. Alles scheint zunächst nicht weiter schlimm zu sein, bis Ann zu ihrer Freundin geht und über das Geschehen berichtet. Peter, der sie bei dieser Freundin abgeliefert hat und auch dort wieder abholen will, erlebt am Treffpunkt eine böse Überraschung. Er wird nicht von seiner Frau erwartet, sondern von der Polizei, die ihn sofort festnimmt. Der schon leicht Gebrechliche muss eine ganze Nacht auf einer harten Pritsche in einer Zelle auf der Wache verbringen. Nach der Entlassung muss Peter seine Sachen zusammenpacken und nun als Vorbestrafter ein neues Leben beginnen.

 

Chris hat ein Herz mit seinem Vater und deshalb beginnt Peter’s neue Leben bei seinem Sohn in Coquitlam, bei Vancouver. Als Antonio und ich damals einen Auftritt in Vanouver haben, sehen wir die Beiden wieder, sie laden uns für den nächsten Tag zu sich nach Hause ein und erzählen uns die ganze Geschichte. Die WG ist erstmal ungewohnt für Beide und es gibt oft Krach, aber Chris bemüht sich und nimmt seinen Vater überall mit hin, um ihn auf andere Gedanken zu bringen, wie er uns bei unserem aktuellen Treffen erzählt. Der Vater verliert in seiner neuen Umgebung ohne die Frau aber seinen Lebenssinn und wird leicht depressiv. Heimlich nimmt er wieder Kontakt zu Ann auf, obwohl gerichtliche Auflagen das eigentlich verbieten. So gehen drei Monate ins Land, bis Peter an einem Tag seinem Sohn eröffnet, dass er wieder zurück zu seiner Frau nach Thunder Bay möchte. Vor Weihnachten ist er wieder Zuhause angekommen. Während der Zeit hat sich Ann durch ihr schon vor einiger Zeit diagnostiziertes Parkinson verändert, die Krankheit ist in seiner Abwesenheit vorangeschritten und es fällt Peter nicht leicht, sich daran zu gewöhnen. Dennoch, er hat seinen Lebenssinn wieder gefunden und kümmert sich um seine Frau. Gemeinsam leben Beide noch etwa ein Jahr halbwegs glücklich zusammen, bis es nicht mehr geht und Ann ins Heim muss. So eine Krankheit und die damit einhergehende Persönlichkeitsveränderung einer geliebten Person bedeutet viel Trauer, Frustration und Wut, so auch für Peter.

 

…und als wir schon dachten, die Geschichte ist zu Ende, hat Peter allerdings ein erneutes Mal sein Leben in die Hand genommen und sich ein wenig Glück und Zufriedenheit wieder erkämpft. Seine neue Aufgabe ist das Vermieten einiger Zimmer in seinem Haus an Studenten und somit ist er nicht nur beschäftigt, sondern auch von positiven Seelen umgeben, die ihn aufmuntern, inspirieren und seinen Lebenssinn erhalten.

 

Die Geschichte macht einem so eindrücklichlich klar, dass immer alles und zu jeder Zeit ganz anders kommen kann, als gedacht und man sich geistige Flexibilität bis ins hohe Alter erhalten sollte, denn der Lebensstrom ist unberechenbar. Außerdem zeigt die Geschichte auch, dass wir unser Leben nicht mit Streit und Ärger  vergeuden sollten, denn verlorene Zeit lässt sich nicht aufarbeiten. Arbeiten bzw. gestalten sollten wir immer und zu jeder Zeit unser eigenes Leben, denn irgendwie findet man immer einen Weg sich neu zu erfinden und seinem Leben neuen Sinn zu geben, und dass eben auch noch mit über 80 Jahren!

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